Unser Brief nach Düsseldorf zur Verschiebung der Wahl

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Bielefeld, 30.4.2020

Sehr geehter Herr Landesinnenminister Reul, sehr geehrte Herr Landeswahlleiter Schellen,

„Lokaldemokratie in Bielefeld“ ist eine am 06.09.2019 gegründete Wähler*innengemeinschaft. Mit dem Ratsmitglied Michael Gugat sind wir im Rat der Stadt Bielefeld aktuell mit einem Sitz vertreten und Teil der Mehrheitskoalition mit SPD, Grünen und Bürgernähe.

Gemäß §§ 15 ff. KommWahlG NRW sind die Wähler*innengemeinschaften ausdrücklich gleichberechtigt neben den politischen Parteien und Einzelbewerbern zur Teilnahme an den Kommunalwahlen zu berücksichtigen.

Im Zusammenhang mit der für den 13.09.2020 angesetzten Kommunalwahl und der Corona-Pandemie-Krise möchten wir sie auf folgende Umstände hinweisen und daraus konkrete Forderungen ableiten:

Der Wahlkampf zur Kommunalwahl unter den derzeitigen Pandemie-Umständen ist unserer Auffassung nach eine Ungleichbehandlung von kleineren Wähler*innengemeinschaften, da aufgrund der Kontaktbeschränkungen der persönliche Kontakt zu Wähler*innen nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Der Wahlkampf wird nur mit einem großen Aufwand an finanziellen Mitteln zu leisten sein. Parteien haben durch die Wahlkampffinanzierung durch Steuergelder eine deutlich bessere Voraussetzung in dieser Krise. Größere Parteien können in einzelnen Kommunen bis zu sechsstellige Summen aufbringen, um auf sich aufmerksam zu machen. Wähler*innengemeinschaften können nicht auf Steuergelder für den Wahlkampf zugreifen.

Daher sind wir der Überzeugung, dass die Kommunalwahl bis zu einem Zeitpunkt verschoben werden muss, an dem persönliche Kontakte wieder möglich sind.

Eine reine Briefwahl lehnen wir ab, weil diese nur als Ausnahme von der Regel einer Wahl im Wahllokal vorgesehen ist. Darüber hinaus zeigen Statistiken eine klare Bevorteilung insbesondere von konservativen bürgerlichen Parteien wie CDU oder den Grünen.

Vorgelagert vor der Wahl steht für viele Wähler*innengemeinschaften und Parteien das Sammeln von Unterstützungsunterschriften an; so auch für uns. Das Sammeln von Unterstützungsunterschriften ist bereits in normalen Zeiten eine Herausforderung, die aber machbar ist. Unter den derzeitigen Umständen halten wir die Sammlung für schlicht unmöglich. In Ihrem Schreiben vom 19.03.2020 weisen Sie recht lapidar darauf hin, dass es sich um eine „nicht allzu hohe Zahl“ handeln würde. Wir befürchten, dass Sie mit der tatsächlichen Praxis des Unterschriftensammelns keine Erfahrung haben, daher erlauben wir uns, die Problemlage zu erklären:

Für die verschiedenen Kandidaturen müssen wir in Bielefeld über 750 Unterstützungs-Unterschriften sammeln, die sich aus verschiedenen Bereichen zusammensetzen:

  • Oberbürgermeister*in-Kandidatur: 330
  • Reserveliste für den Rat: 100
  • 33 Ratswahlkreise: Jeweils 10
  • 10 Bezirksvertretungen: jeweils bis zu 50

Die Erfahrung zeigt: Um die notwendigen gültigen Unterstützungsunterschriften zusammen zu bekommen, muss man mindestens die doppelte Anzahl sammeln, da das Wahlamt einige nicht bestätigt (Gründe z.B.: Unterschreibende Person ist nicht wahlberechtigt, nicht wohnhaft im jeweiligen Gebiet, etc.).

Um diese damit über 1.500 Unterstützungsunterschriften zu sammeln, muss man ca. zehnmal so viele Menschen ansprechen. Viele Menschen möchten keine Unterstützungsunterschrift leisten. Gründe können sein: Programm entspricht nicht der eigenen Ausrichtung, Unkenntnis des Prozederes, Angst vor dem Ausfüllen eines amtlich aussehenden Formulars und andere. Man muss also ca. 15.000 Gespräche führen, um an die erforderliche Anzahl von gültigen Unterschriften zu kommen. Diese Gespräche sind auch tatsächlich notwendig, da so eine Unterschrift, völlig zu Recht, nicht leichtfertig gegeben wird.

Insbesondere das Sammeln der jeweils 10 Unterschriften für die 33 Ratswahlkreise ist von besonderer Schwierigkeit, da nur diejenigen unterschreiben dürfen, die im jeweiligen Ratswahlkreis wohnen. Die Grenzen der Ratswahlkreise sind für die Bürgerinnen und Bürger nicht nachvollziehbar und haben keine weitere politische Bedeutung. Zu einem Stadtbezirk hat man als Wähler*in einen persönlichen Bezug, zu einem künstlich gezogenen Ratswahlkreis nicht, man kennt „seinen“ Ratswahlkreis für gewöhnlich nicht einmal.

Bereits unter normalen Umständen ist das eine Herausforderung, die aber machbar ist, wenn man im Wahlkreis von Tür zu Tür geht. In Zeiten der Kontaktbeschränkungen halten wir es für fahrlässig, von Tür zu Tür gehen zu müssen. Unabhängig davon, dass viele Einwohner*innen sich aus Sicherheitsgründen nicht auf ein Gespräch einlassen wollen, was man respektieren muss: Das Gehen von Haus zu Haus ist eine große Gefahr für das pandemische Geschehen und kann zu erhöhten Infektionszahlen führen. Werden wir gesetzlich dazu gezwungen, bleibt uns aktuell aber natürlich nichts anderes übrig, wenn wir zur Wahl zugelassen werden wollen. Damit aber gefährden wir uns sowohl selbst als auch die Bevölkerung.

Eine ausschließliche Sammlung von Unterschriften mit digitalen Mitteln ist aufgrund der Kleinteiligkeit der Ratswahlkreise und aus Datenschutzerwägungen heraus keine Alternative, zumal hier der persönliche Kontakt völlig fehlt. Personen, die eine Unterschrift leisten möchten, müssten zudem mit entsprechendem digitalen Equipment ausgestattet sein (Drucker, Scanner, Tablet mit Stift etc.) und dieses auch sachgerecht bedienen können.

Die Fristen sind durch die Corona-Krise bereits jetzt verkürzt. Unsere ursprünglich für den 04. April geplante Aufstellungsversammlung mussten wir inzwischen zwei Mal aus Sicherheitsgründen nunmehr auf den 23. Mai verschieben. Für die Einreichung und Bestätigung der Unterstützungs-Unterschriften mit Abgabefrist 16.07. bleiben also nur wenige Wochen .

Daher hier unsere Forderung:

Unter Berücksichtigung der geschilderten Umstände halten wir eine Verschiebung der Wahl für unverzichtbar. Die Verschiebung sollte mindestens ein halbes Jahr betragen und in Abhängigkeit zum Corona-Pandemie-Geschehen erfolgen. Andernfalls ist weder Chancengleichheit noch Teilhabe an der Kommunalwahl für alle gegeben. Gleichzeitig darf die Gesundheit von Menschen, die sich ehrenamtlich politisch auf kommunaler Ebene engagieren wollen, nicht aufs Spiel gesetzt werden.

Zusätzlich muss die Notwendigkeit der Unterstützungsunterschriften geprüft und vereinfacht werden.

Mit freundlichen Grüßen

Vorstand der Wähler*innengemeinschaft Lokaldemokratie in Bielefeld

Marie-Dominique Pickardt

Hans-Christian Wittler

Michael Gugat

Anmerkungen:
Gemäß §§ 15 ff. KommWahlG NRW sind die Wählergemeinschaften ausdrücklich gleichberechtigt neben den politischen Parteien und Einzelbewerbern zur Teilnahme an den Kommunalwahlen zu berücksichtigen.

  • gemäß § 15 Abs. 2 S. 3 KWahlG NRW jeweils von Wahlberechtigten unterzeichnet sein müssen, ausreichend Zeit für die Erlangung der auf Formblättern nach Anlage 14a KWahlO NRW vorzulegenden Unterschriften einräumen und dabei gem. §4 Abs. 1 KWahlG NRW die Zeitspanne von fünf Monaten vor dem 59. Tag vor der neu anzuberaumenden Kommunalwahl nicht unterschreiten. Genau das ist jedoch schon aktuell der Fall, denn der gesetzlich vorgesehene Zeitraum von mindestens fünf Monaten zwischen der Festlegung der Wahlbezirke durch die Wahlausschüsse der Gemeinden und Kreise, spätestens 53 Monate nach Beginn der Wahlperiode, und dem Fristablauf zur Einreichung von Wahlvorschlägen am 59. Tag vor der Wahl, ist bereits heute weit unterschritten.
  • Wahlvorschläge sind bei den Wahlleitern der Kreise und Kommunen gem. § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 3 und § 46 a KWahlG spätestens zum 59. Tag vor der Wahl einzureichen, also bis zum 16.07.2020. Gemäß § 4 Abs. a KWahlG sind zudem die Wahlbezirke spätestens 7 Monate vor der Kommunalwahl bekanntzugeben, so dass für die Durchführung von Aufstellungsversammlungen sowie das Sammeln etwaig benötigter Unterstützerunterschriften das Gesetz eine Zeitspanne von fünf Monaten vorsieht. Dies ist nicht gegeben. Daher ist die Wahl entsprechend zu verschieben.

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